Gunter Gebauer

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Das Tor zum Mythos

Gunter Gebauer ist Philosoph. Er hat ein Buch über Fußball geschrieben. Als ehemaliger Leistungssportler hält er Kontakt zu den irdischen Dingen des Lebens. „Als Philosoph interessiere ich mich für Sprache“, sagt er zur Wahl des Stoffs. Aber Fußball?

Besonderes Augenmerk richtet der Kopfarbeiter indessen auf das Verhältnis von Hand und Fuß. „Die Entstehung der Sprache wiederum – Teil dessen, was wir unter Zivilisation verstehen – geht einher mit der Entwicklung der Motorik der Hand“, lüftet Gebauer langsam das Geheimnis und offenbart schließlich: „Handspiel ist im Fußball verboten. Die Spieler werden von den Leistungen der Hand und der Sprache ausgeschlossen.“ Sie bolzen mit den Füßen über den Erdboden, Mannbarkeitsrituale aus dem primitiven Repertoire der Kultur ausübend und anbietend, um sich die Aura der Männermythen, fern von sich die gefährlichen Frauen – und schaffen Momente „erlebter Poesie“.

Im Fußballspiel findet Gunter Gebauer eine Generalmetapher für deutsche Nationalmythen und Zustände. Er verknüpft die Siege bei Weltmeisterschaften mit historischen Wendepunkten der deutschen Nachkriegspolitik. Macht über den Zufall haben zu wollen – auch Leistung genannt – ist hier zu Lande ausgeprägter als anderswo, genau wie eine strukturelle Misogynie, die noch heute dazu führt, dass Deutschland in Europa in Sachen Gleichberechtigung Schlusslicht ist. Fußball ist das Lieblingsspiel der Deutschen, und im Fußballer sieht der deutsche Mann seit dem spektakulären Gewinn der Weltmeisterschaft 1954 seine Lieblingstugenden verkörpert. Hier findet er Helden, Heilige und Priester, die noch streng zölibatär im Trainingskloster übten, als anderswo der prüde Irrtum längst korrigiert war. Und wenn man verliert? Schwer lastet die Niederlage auf der Teutonenschulter, Spielzug für Spielzug wird die nationale Katastrophe zergrübelt, während Brasilianer oder Italiener schon zum nächsten Tanz aufspielen.

Mannsbilder

Das Fußballspiel, erfunden in englischen Jungenschulen, ist Einübung in Männlichkeit, zugleich die pubertäre Auflehnung gegen Zivilisation und Kultur. „Die „Novizen“ in der Fankurve sehen, wie andere Männer sich verhalten“, sagt Gebauer. „Sie sehen, wie Spieler sich gegenseitig anschreien und bei jeder Gelegenheit auf den Rasen spucken ...“. Fußballspiel ist Heldenschmiede, Vorbildlieferant und Projektionsfläche für Allmachtsfantasien. „Der Kleinbürgerspross Beckenbauer wird zum Genie, das Arbeiterkind Vogts zum Weltmeister durch Arbeit, der gelernte Bäcker Klinsmann zu einem unternehmerischen, weltgewandten Anführer. In der Erinnerung der Bundesliga werden die bekannten Sportler zu Idealbildern dessen erhöht, was der männliche Durchschnittsbürger in seinem Alltag zu tun wünscht: Sie erhalten einen Handlungsspielraum und eine schrankenlose Macht des Handelns, die es seit langem nicht mehr gibt.“

Und das Reden über Fußball ist in einer kulturellen Tradition, in der Gewalt und Sexualität zusammengeführt wurden, oft ebenso kriegerisch wie sexuell konnotiert. „Die Sprache kommt tatsächlich von den Schlachtfeldern“, schreibt Gebauer, „aber der Kampf geht nicht um Länder, Macht, Reichtum, sondern um die Verletzung des Innenraums; es geht um etwas, das zu schützen ist, das Weibliche“. Natürlich geht es nicht um wirkliche Frauen: „Das Weibliche ist ein Fantasieprodukt, das von Männern für Männer hergestellt wird“.

Weibsbilder

Vom ewig Weiblichen im Fußballtor führt Gebauer seine Leser zu den echten Frauen und stellt fest: „Wenn Frauen oder Mädchen Fußball spielen, tun sie das anders als Männer“. Doch wer glaubt, es ginge da nicht auch um Konkurrenz und Wettbewerb, sieht sich getäuscht: „Allerdings bevorzugen sie mehrheitlich andere Formen der Auseinandersetzung als den bei Jungen beliebten körperlichen Kampf“, klärt Gebauer auf. „Eine typische Weise, mit der Mädchen in Spielen Ordnung herstellen, ist der Einsatz der Sprache.“ Frauen, für Gebauer ohnehin die Trägerinnen von Kultur und Zivilisation, gebrauchen auch beim Spiel deren Möglichkeiten, anstatt wie die Männer gegen sie zu opponieren: „Frauen finden das Gebolze öde“, weiß der Autor, und auch als Zuschauerinnen bringen sie eine andere Perspektive auf das Spiel. Für sie darf der Männersport gern etwas kultivierter sein, Eleganz geht vor Gebolze, und den Teutonenstürmern werden die Fußballtänzer der lateinischen Länder zu Konkurrenten um die Gunst der Damen. Bei Nationalspielen sind immerhin 50 % der Zuschauer inzwischen Frauen, erzählt Gebauer, und erstaunlicherweise wehren die Männer dieses Interesse nicht länger ab.

„Frauen werden satisfaktionsfähig, sie haben nicht länger den Status von Groupies, die affektiv an Männer gebunden – seien es Spieler oder Fans – aber keine echte Unterstützung für die Mannschaft sind.“ Der WM-Sieg der Fußballerinnen hat sicher das seine getan. Die Bundeskanzlerin empfahl den Kickern nach der peinlichen Niederlage gegen Italien, sich einmal mit den Kolleginnen zu beraten – und siehe da: es geschah tatsächlich! Ansonsten interessieren sich Männer nicht für Fußball, wenn Frauen ihn spielen. Vielleicht auch, weil Fußball spielende Mädchen und Frauen unscharfe Rollenbilder produzieren. Solange es die wesentliche Leistung einer Frau zu sein hatte, für Männer attraktiv zu sein, war ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt und das Bein durch Stöckelschuhe weit gehend dysfunktionalisiert. Gebauer: „Seit einiger Zeit wird die Prestigeform nicht mehr widerspruchslos hingenommen, sondern durch das Tragen von Turnschuhen gleichsam feindlich erwidert“.

Nationalbilder

„Das Lieblingsspiel einer Gesellschaft und die Art, wie es gespielt wird, sagt vor allem etwas darüber aus, wie das Verhältnis zwischen Leistung und Zufall geregelt ist“, sagt Gebauer. Der deutsche Fußball ist leistungsorientiert. Es wird getreten, und wenn es sein muss, wird der Ball mit der Brechstange „reingemacht“. Dem Zufall will man Beine machen. Leistung hingegen ist der Glaube, den Zufall abwehren zu können, und wie im Wunschbild von sich selbst, so soll es auch im Fußball sein. „Von einer deutschen Nationalmannschaft erwartet man Opferbereitschaft, Diszipliniertheit, Fleiß, mannschaftsdienliches Spiel, männliche Härte, Kampf, Abwehr einer drohenden Niederlage bis zum Schlusspfiff.“ Dagegen ist italienischer Fußball getanzter Sport, der Fuß ist kultiviert, der Zufall hat einen ehrenhaften Platz auf dem Rasen, man nimmt die Dinge – auch die Niederlagen – zwar ernst, aber Fußball ist Spiel und nicht Arbeit. „In den nicht-sprachlichen Dingen haben die Italiener einen viel höheren Stand erreicht als wir“, lacht der Philosoph, „in der Kleidung, beim Essen – und sie machen die schönsten Schuhe!“

Poesie

„Bis heute ist der Fußball ein Spiel aus dem Geist von Schülern geblieben, die entschlossen sind, ihren Gegnern Grausamkeiten zuzufügen“, schreibt Gebauer. Der Gegner soll lächerlich gemacht und in „extremes Elend“ gestoßen werden, „auf dass er sich nie mehr davon erhole und für alle Zukunft an seinem Bezwinger leide.“ Vor allem das Publikum will „die maßlose Überlegenheit der eigenen Mannschaft: Der unermessliche Triumph ist sein Erfolg – es ist nicht dessen Zeuge, sondern eine seiner Ursachen. Sein Getöse ist Ausdruck seines Willens und seiner Entschlossenheit, Böses zu tun.“ Und die Stadien neuerer Bauart tun ein Übriges: „Alle eingesetzten Elemente zielen darauf ab, die Zuschauer zu überwältigen, ihnen jede Distanz zum Geschehen zu rauben, ihre Emotionen aufs höchste anzustacheln. Das sind die ganz alten Formen der absolutistischen Herrschaft im römischen Imperium“, schreibt Gebauer. „Emotionen werden angestachelt bis zur äußersten Gewalt – wo Sprachlosigkeit sich verfestigt.“ Jacques Herzog, einer der Architekten der neuen Münchner Allianz Arena nennt einen solchen Ort eine „Kathedrale unserer Zeit“.

Gunter Gebauer, der Philosoph, hat eine bessere Idee:

„Im Fußball findet man etwas, was der Welt verloren gegangen ist – wenn sie dieses jemals besessen haben sollte – eine Herrschaft, die sich nicht nur auf Macht, sondern auch auf Ästhetik gründet. Sie entsteht, wenn das Spiel mit dem rohen Fuß in einem glücklichen Augenblick mit Rhythmus und Grazie zusammentrifft. Eine solche Vereinigung ist ein unwahrscheinliches Ereignis; es sind so viele Widrigkeiten zu überwinden: die Tücke des Balls, der Widerstand der Gegner, die Enge des Platzes, die Wortlosigkeit der Verständigung. Wenn der unwahrscheinliche Augenblick mit einem Schlag doch in die Wirklichkeit eintritt, wird er für alle Beteiligten zur Ursache unbeschreiblicher Empfindungen. Wie immer man diese beschreibt, ist er ein Moment erlebter Poesie.“

Quelle

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